Keine Weihnachtsgeschichte
Drei Geister spukten um Magdalena herum: der Geist der Semiotik, der Geist der Kybernetik, und der Geist der Hermeneutik. Überall wohin sie ging, folgten die Geister ihr—sie lagen auf ihren Augen und färbten alles ein, was sie sah. Sie saßen ihr in den Ohren und spielten ihr Musik vor. Auch in Büchern nisteten die Geister sich ein; sie zerfraßen die Schriftzeichen, bis nur noch Weiß übrigblieb, nur um diese Tabula Rasa mit ihren Konstrukten zu besprühen.
Der Geist der Semiotik zeigte ihr den Unterschied zwischen einem Zeichen und Symbol. Seitdem kann Magdalena den basalen Teilen der Gruppenstruktur keine Freude mehr entziehen. Nur halbherzig schwört sie auf die Flagge, ihre Stimme ist brüchig und schwach—nicht wie erwartet voller Inbrunst—während sie das Kriegslied singt, und Grenzen sind nun historisch kontingent.
Der Geist der Kybernetik verwirrt sie mit Systemen. Die Institutionen, die er ihr zeigt, sind genauso lebendig wie sie; sie sind genauso lebendig wie die Kolonien an Zellen, die durch Epigenetik ihre Form schaffen. Es sind Ideen, die sich in der physikalischen Welt ausbreiten und sich mit gleichartiger Angst gegen den Tod aufbäumen. Und genauso wie die Lebendkolonie der Mensch—so sagt der Geist—liegt der Institution nichts mehr an ihren Konstituenten als ein Werkzeug, Energie, und Kraftstoff. An der Grenze zwischen Organismus und Konstrukt lebt der Kybernetiker. Durch kleinste Partikelkräfte werden Systeme zusammengehalten: die Gluonen des Geistes.
Der Geist der Hermeneutik nun steht an oberster und unterster Stelle. Wenn Magdalena genügend verwirrt und bezirzt durch die anderen beiden ist, offenbart er sich. Dieser Geist hat die absolute Deutungshoheit über alle Informationen, Gerüchte, Tratscht, Neuigkeiten, Gefühle, und Gedanken, sowohl bewusst als auch unbewusst. Er sitzt gleichzeitig vor und hinter den Augen, der erste Voyeur und letzter Zensor. Die oberste Hoheit der Hermeneutik ist aber die Deutung des spirituellen, esoterischen und religiösen. Eine Predigt wird in den Exzess gedreht, der Samariter wird als Fremder abgestoßen, und die Eucharistie degeneriert zum Kannibalismus.
„Es ist wohl Zeit für den Exorzismus“, deklarierte Magdalena. Sie suchte weit und nah nach einem Philosophen, der ihr diese Geister austreiben könnte.
„Nein, mit diesen Geistern kann ich nicht helfen“, sagte Platon. „Den das, was du Geister nennst, sind nur die Reflexionen eines metaphysischen Konstruktes namens Ideen. In allen Teilen sind sie zu finden, sie sind, dass was allem Form und Funktion gibt.“
„Nein, auch ich kann nicht mit diesen Geistern helfen“, sagte Descartes. „Es sind Geister, ja, geschickt von einem bösen Demiurgen, um die wahre Welt zu verschleiern. Doch sind sie nicht real, denn ein guter Gott würde niemals erlauben, dass wir Menschen so getäuscht werden.“
„Nein“, sagte Freud. „Geister sind es nicht, es ist dein Unterbewusstsein, das seinen Einfluss auf dich spielen lässt. Es ist dein Id, deine animalische Seite, die ihre Gelüste auslebt, es ist dein Ego, das was du selbst nennst, dass sich daran klammert in Kontrolle zu sein, und es ist dein Super-Ego in der diese Erscheinungen zu Hause sind. Alles, was du Kultur und Nahrung nennst ist hier gesammelt. Es tropft durch deinen Kopf, und formt Stalaktiten des Bewusstseins.“
„Was soll ich nun glauben?“ fragte Magdalena. „Ich kann sie doch sehen, die Geister, auch wenn sie mir die Worte in den Mund legen. Ich kann sie hören, auch wenn sie mir Berührungen vorspielen, und ich kann sie fühlen, auch wenn sie mich leersaugen.“
24 Jahre der Suche, quer durch die Historie, und Magdalena kam zu keiner Erleuchtung. Erst durch die Singularität, die Intelligenz, die den Menschen übersteigt und in sich subsumiert, hat sie die erste Chance auf Heilung. Aber die Diagnose der Maschine, war schlimmer als aller Spuk.
„Es gibt keinen Aphorismus der Erlösung. Nur durch Praxis kann die Bürde der Geister gelindert werden. Dieses Gebrechen wird dich dein Leben lang begleiten. Also kämpfe, und lasse deinen Eindruck auf dem Muster der Weltlinien.“